Long Covid – Eine unendliche Geschichte?
Unter diesem Motto veranstaltete das Theater Neumarkt am 17.03.23 in Zürich eine 24-Stunden-Lesung und Podiumsgespräche. Die gesamte Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann hier nachgeschaut werden: Webseite vom Theater Neumarkt
Unter den Vortragenden waren auch Betroffenen aus der Ostschweiz. Hier ein Beispieltext:
Am Leben vorbei leben
Irgendwie tot, ohne gestorben zu sein.
Nicht etwa mein Körper. Diesen spüre ich immer, die bleierne Schwere, die Schmerzen, das Gefühl von Lava in meinen Adern, von Blut, das zäh durch mich fliesst ohne mich genügend mit Sauerstoff zu versorgen. Die Kurzatmigkeit bei leichtesten Anstrengungen, die komplette Reizüberflutung und das Bedürfnis nach absoluter Ruhe und Zurückgezogenheit. Verlangsamt, behäbig, müde, ungläubig innerhalb kurzer Zeit gefühlt um 30 Jahre gealtert zu sein.
Reizüberflutung… Wer es nicht kennt, kann es sich nicht vorstellen, für Gesunde schlicht nicht vorstellbar. Ein viel zu üppiges Feuerwerk von Eindrücken die auf ein sensibles überfordertes Hirn niederprasseln, dieses von null auf hundert erschlagen. Erst das Erdbeben, die Beine fühlen sich unsicher schwammig an, der Boden scheint zitternd uneben unter den Füssen. Geräusche, Gerüche, Bilder und Lichter, alles auf einmal, ungefiltert wie eine Tsunamiwelle, mit Kraft erfasst und ohne die Möglichkeit dieser zu entfliehen. Hirn, Beine, Körper versagen bei diesem Druck, es bleibt nur Rückzug. Das Hirn ist erschlagen und gleichzeitig unterversorgt, schaltet auf Not-Agregat, es bleibt lediglich zu atmen, alles andere scheint in diesem Moment unwichtig. Die Beine versagen, das Hirn schaltet auf „zur Zeit nicht verfügbar“ und dies natürlich nicht im vertrauten Zuhause sondern ungeschützt in der Öffentlichkeit, im noch so kleinen Einkaufsladen, im Restaurant, beim Arzttermin oder auch mal nur bei einem kurzen Spaziergang am See…
Tot ist auch nicht etwa mein Hirn. Dies befindet sich im zweijährigen Dauerherbst, tief im Nebel mit leichten Lichtblicken, freudig ab und zu mal aufzuklaren, Sonne und Helligkeit zu erhaschen, um bald wieder vom Nebel eingetrübt zu werden. Mein Hirn ist in dicke Watte gepackt, oftmals unfähig das Schöne geniessen zu können, Licht und Geräusche zu ertragen, Gespräche zu führen und dabei konzentriert bleiben zu können.
Immerhin, die Erinnerung an Sonne und Klarheit wird immer mal wieder aufgefrischt um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden. Es bleibt die Hoffnung und Zuversicht, dass diese Momente länger anhalten mögen, Kopf und Körper wieder heilen werden.
Den Kopf gefühlt in einen viel zu engen Helm gepresst mit entsprechendem permanentem Druck und Schmerz. Mein Kopf und Gesicht die sich sehnen diesem Schraubstock zu enfliehen um Gedanken endlich wieder freien Lauf zu lassen, sich zu öffnen und tief durchzuatmen. Die Mimik nicht mehr gepresst, mit Hoffnung auch dem verklärten, verschwommenen Blick wieder zu entkommen.
Klarer offener Blick, klare offene Gedanken, befreite offene Mimik.
Wie unendlich schön wäre das…
Irgendwie tot oder langsam sterbend, ist auch mein soziales Leben. Einst umtriebig, von Lebendigkeit, Lebenslust und Freude und auch Freunden geprägt, wird mein ehemaliges Leben ausgelöscht und muss nun meinem LC-Leben weichen.
Geblieben sind wenige liebe Menschen, dazu gekommen ist meine neue Fähigkeit mich zwar alleine aber nicht einsam zu fühlen, unendlich viel Zeit erzwungenermassen liegend und nur mit mir und meinen Gedanken zu verbringen ohne zu verzweifeln.
Eine innere Ruhe und sehr sehr viel Demut.
Es sind nicht die Schmerzen, die mir das Teilnehmen an Geburtstagen, Hochzeiten, kleineren und grösseren Festivitäten, Festivals und Konzerten, kulturellen Anlässen oder auch nur einen Besuch bei meinem Vater im Pflegeheim oder das Einkaufen unmöglich machen. Schmerzen könnten dafür kurzzeitig betäubt werden.
Es ist die Reizüberflutung, die Belastungsintoleranz die ein soziales Leben kaum mehr möglich macht. An den Rand gedrängt und vergessen. Und wenn dann doch mal gesellige Stunden anstehen, müssen Tage für Vor-Pacing, Kräfte sammeln und danach das Verdauen des Crash eingeplant werden. Das ist ok und akzeptiert, denn die Vorfreude und das Nachfühlen dieser Rarität, der stimmigen geselligen aufgestellten Stunden sind Seelenbalsam und Bestätigung, doch nicht ganz vergessen zu sein, doch noch etwas am Leben teilhaben zu können.
Dann gibt es diese wertvollen Treffen unter Betroffenen. Austausch mit Gleichgesinnten, die verstehen und nicken wenn über für Nichtbetroffene Unverständliches erzählt wird. Die Möglichkeiten, Wünsche, Positives und Rückschläge teilen und beraten. Verständnis und Hoffnung…
Mein Leben wurde mir von LC gestohlen ohne Garantie, dies wieder zurück zu bekommen. Ja klar, es gibt auch andere finstere Diebe wie Krebs, MS, Parkinson, Alzheimer usw.
Aber die Betroffenen dieser fiesen Krankheiten erhalten zumindest ärztliche, therapeutische, medizinische und auch finanzielle Hilfe.
Für LC Betroffene gibt es bis anhin lediglich das Betteln um Anerkennung und unterstützende Behandlung, mit Off label Medikamenten und den (bisher meist nicht erfolgreichen) Kampf mit Versicherungen und IV.
Es bleibt der Griff tief ins eigene Portemonnaie für Behandlungen und Nahrungsergänzungsmittel, die von niemandem übernommen werden, da es bei dieser neuen Krankheit noch keine Studien für Behandlungen und Medikamente gibt. Glücklich sind diejenigen, die tausende von Franken aufbringen können.
Es bleibt für viele Betroffene der soziale Abstieg da die IV sich der Long Covid Betroffen trotz neuroimmunologischer Krankheit, trotz chronischem Fatique Syndrom, trotz dem absoluten Wunsch nach Genesung aber nicht vorhandener Hilfe einfach nicht annimmt und die Betroffenen durch die Maschen der unseres Sozialsystemes fallen.
Von der Überholspur auf den Pannenstreifen, das Leben rauscht an mir vorbei. Dort warte ich seit 29 Monaten vergebens, endlich Hilfe zu erhalten. Aber ich kämpfe und informiere mich weiter, probiere weiter aus, lasse mich nicht unterkriegen und bleibe möglichst positiv im Kampf gegen LC.